Was ist die Herzfrequenzvariabilität?
Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) beschreibt die Schwankungen in den Zeitabständen zwischen zwei Herzschlägen – den sogenannten RR-Intervallen. Im Gegensatz zu einem Metronom schlägt ein gesundes Herz nicht taktvoll gleichmäßig, sondern reagiert flexibel auf äußere Reize und innere Vorgänge. Es passt sich laufend an körperliche Belastung, emotionale Zustände, Atemmuster und vegetative Prozesse an. Diese Anpassungsfähigkeit ist ein direktes Spiegelbild der Funktionsweise des vegetativen Nervensystems (VNS).
Das vegetative Nervensystem arbeitet unbewusst und steuert lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag, Blutdruck, Verdauung und Atmung. Es setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: dem Sympathikus, der den Organismus auf Aktivität vorbereitet („Fight or Flight“), und dem Parasympathikus – insbesondere dem Vagusnerv –, der für Erholung und Regeneration zuständig ist. Die HRV gibt Aufschluss darüber, wie dynamisch und ausgewogen diese beiden Systeme miteinander interagieren.
Inzwischen erscheinen jährlich über 1.000 wissenschaftliche Publikationen zur HRV – ein Ausdruck ihrer wachsenden Bedeutung in der Forschung. Ihre Anwendungen reichen von der Kardiologie über die Psychosomatik bis hin zur Prävention, Sportmedizin und Stressdiagnostik (vgl. Sassi et al., 2015).
Warum ist die HRV medizinisch relevant?
Die Herzfrequenzvariabilität gilt als sensibler Marker für die Anpassungsfähigkeit des Körpers an innere und äußere Anforderungen. Eine hohe HRV steht für ein gut reguliertes, widerstandsfähiges vegetatives Nervensystem – sie spiegelt vagale Aktivität, Stressresilienz und innere Balance wider.
Umgekehrt kann eine dauerhaft erniedrigte HRV ein Hinweis auf eine Dysregulation des vegetativen Nervensystems sein. Solche Veränderungen finden sich häufig bei chronischen Belastungs- oder Erkrankungszuständen, etwa bei:
- Chronischem Stress und Burn-out
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck)
- Diabetes mellitus und metabolischem Syndrom
- Schlafstörungen und chronischer Erschöpfung
- Depressionen und Angststörungen
Wie wird die Herzfrequenzvariabilität gemessen – und was sagt sie aus?
Die HRV kann entweder in Ruhe über eine Kurzzeitmessung von fünf Minuten oder im Rahmen eines 24-Stunden-EKGs erfasst werden. Während die Kurzzeitmessung vor allem eine Momentaufnahme der vegetativen Regulation liefert, ermöglicht die 24-Stunden-Analyse einen tieferen Einblick in die Fähigkeit des Körpers zur Erholung, die nächtliche Regeneration, den Tag-Nacht-Rhythmus sowie die allgemeine Stressverarbeitung. Besonders spannend: Langzeitmessungen machen oft unerkannte Belastungsmuster sichtbar – etwa eine fehlende nächtliche Entspannung – und eröffnen damit gezielte therapeutische Möglichkeiten zur Verbesserung von Schlaf, Energielevel und Stressresilienz.
HRV – ein starker Prädiktor für Gesundheit und Lebenserwartung
Zahlreiche Studien belegen: Die Herzfrequenzvariabilität ist nicht nur ein Marker für momentane Stressbelastung – sie besitzt auch eine hohe prognostische Relevanz für die körperliche Gesundheit und sogar die Lebenserwartung.
So zeigte die Zutphen-Studie, dass Menschen mit einer stark reduzierten HRV (SDNN < 20 ms) ein doppelt so hohes Sterberisiko hatten wie Vergleichspersonen mit normaler Variabilität.
In der bekannten Framingham-Heart-Studie war eine reduzierte sympathikovagale Balance (also ein gestörtes Zusammenspiel zwischen Aktivierungs- und Erholungsnervensystem) mit einer 1,7-fach erhöhten kardiovaskulären Sterblichkeit verbunden (Tsuji et al., 1994).
Auch die DIAMOND-Studie konnte zeigen, dass eine niedrige HRV nach einem Herzinfarkt mit einem deutlich höheren Risiko für weitere Komplikationen und Todesfälle einhergeht (Huikuri et al., 2000).
Darüber hinaus lässt sich bei Menschen mit Diabetes, Bluthochdruck oder Adipositas regelmäßig eine reduzierte HRV feststellen – Ausdruck einer gestörten autonomen Regulation, insbesondere einer verminderten Aktivität des Vagusnervs, der für Ruhe, Erholung und Selbstregulation zuständig ist.

Abb. 1 Vergleichende Tagesverläufe der Herzfrequenzvariabilität (HRV) bei unterschiedlichen vegetativen Zuständen, dargestellt anhand des RMSSD-Werts (in ms): Grün = Phasen ausreichender parasympathischer Aktivität / Erholung. Rot = Phasen vegetativer Belastung / sympathischer Dominanz
HRV in der therapeutischen Anwendung
Die HRV ist nicht nur ein diagnostischer Marker, sondern lässt sich gezielt beeinflussen – und das mit messbarem Nutzen: Zahlreiche Studien zeigen, dass eine Verbesserung der HRV mit einer günstigeren gesundheitlichen Prognose verbunden ist.
Positive Effekte wurden insbesondere beobachtet durch:
- körperliches Training, vor allem Ausdauerbelastungen wie aerobes Intervalltraining, aber auch Yoga und gezielte Atemtherapie
- HRV-Biofeedback und gesteuerte Atemtechniken, die die Aktivität des Parasympathikus – insbesondere des Vagusnervs – fördern (vgl. Lehrer & Gevirtz, 2014)
- psychosomatische Verfahren und Stressreduktionstechniken, die auf die vegetative Balance einwirken
Eine Metaanalyse von Sandercock et al. (2005) mit 298 gesunden Proband:innen zeigte eine signifikante Zunahme der HRV nach regelmäßigem Ausdauertraining – vor allem durch eine gesteigerte vagale Aktivität.
Ablauf der HRV-Diagnostik
Die Messung erfolgt in der Praxis in Koblenz im Rahmen eines strukturierten und medizinisch fundierten Verfahrens. Grundlage ist eine standardisierte Kurzzeitmessung im Ruhezustand, die je nach Fragestellung durch eine 24-Stunden-Messung ergänzt werden kann. Die Diagnostik wird durch eine ausführliche Anamnese, eine kardiologische Untersuchung sowie – bei Bedarf – eine gezielte Labordiagnostik komplettiert.
Die HRV-Diagnostik setzen wir individuell und zielgerichtet ein, unter anderem zur:
- Einschätzung von Stressbelastung, chronischer Erschöpfung oder Burn-out-Neigung
- Frühzeitigen Risikoerkennung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Abklärung vegetativer Dysbalancen, etwa bei Schwindel, Herzrasen, Unruhe oder Schlafstörungen
- Verlaufskontrolle im Rahmen individueller Therapie- oder Trainingskonzepte
Fazit: HRV als Fenster zur inneren Balance Die Herzfrequenzvariabilität eröffnet einen einzigartigen Blick auf die Funktion unseres vegetativen Nervensystems – und damit auf unsere Fähigkeit, Belastungen zu regulieren und in Balance zu bleiben.
Literaturverzeichnisses
Sassi R, et al. Advances in heart rate variability signal analysis: joint position statement by the e-Cardiology ESC Working Group and the European Heart Rhythm Association. Europace. 2015;17:1341–1353.
Dekker JM, et al. Heart rate variability from short electrocardiographic recordings predicts mortality from all causes in middle-aged and elderly men: The Zutphen Study. Am J Epidemiol. 1997;145:899–908.
Tsuji H, et al. Reduced heart rate variability and mortality risk in an elderly cohort: The Framingham Heart Study. Circulation. 1994;90:878–883.
Huikuri HV, et al. Fractal correlation properties of R-R interval dynamics and mortality in patients with depressed left ventricular function after an acute myocardial infarction. Circulation. 2000;101:47–53.
Lehrer PM, Gevirtz R. Heart rate variability biofeedback: how and why does it work? Front Psychol. 2014;5:756.
Sandercock GRH, et al. Effects of exercise on heart rate variability: inferences from meta-analysis. Med Sci Sports Exerc. 2005;37:433–439.